Textprobe der Blick ins Buch
Hier kann man einen ersten Eindruck von „Kleopatra, das Friedenskätzchen“ erhalten.
„Kleopatra …, Kleooopaaatraaa …! Komm! Kleopatra, miiiez, miiiez …!!!
An der niedrigen Hecke, die den breiten Weg hin zu dem majestätischen Wohnhaus säumte, erzitterten die vertrockneten Blätter, so als hätte ein jäher Luftzug sie durchstreift. Tatsächlich regte sich etwas da unten im Gestrüpp. Ein weißes Fell, eine kleine Katze. Das musste Kleopatra sein, die gerade eben von dieser menschlichen Stimme bei ihrem Namen gerufen wurde.
Kleopatra versuchte aufzustehen. Sie wusste, dass dieses Rufen ihr galt und dass es etwas Gutes bedeutete. Das erkannte sie am Klang der Stimme. So riefen Menschen meist dann nach ihr, wenn es eine besondere Arbeit zu erledigen gab, die nur sie als Katze verrichten konnte. Sei es, dass ein frisch gefüllter Futternapf auszuschlecken war oder dass sie einen mäusischen Eindringling aus der menschlichen Behausung zu vertreiben hatte.
Manchmal riefen die Menschen sie allerdings auch zu sich, weil sie das Bedürfnis hatten, ihr ein bisschen das Fell zu kraulen. Dieses Herumwuscheln im Fell war für Kleopatra nicht immer angenehm. Eigentlich nur dann, wenn es mit Respekt geschah und ihr das sorgsam geglättete Fell nicht allzu sehr durcheinanderbrachte. Aber Kleopatra war sich auch im Klaren darüber, dass sie so etwas als Katze einfach zu akzeptieren hatte. Das gehörte zu den ungeschriebenen Gesetzen im Zusammenleben mit den Menschen. Ein Katzenfell schien auf Menschenhände stets einen reflexartigen Zwang auszuüben. Sie konnten dann nicht anders, sie mussten es berühren.
Miez, miez, miez! Kleopatra …!
Kleopatra gelang es einfach nicht, sich ganz aufzurichten. Bisher war es ihr trotz aller Anstrengungen lediglich geglückt, ihren Kopf ein Stück von den Vorderpfoten zu heben und eines ihrer beiden, leicht rosa schimmernden Ohren aufzustellen. Das andere mochte nicht so recht folgen. Es hing herunter und beim genaueren Hinsehen konnte man feststellen, dass es blutverkrustet war.
Kleopatra verstand wirklich nicht, warum sie wie festgeklebt am Boden lag. Dabei hielt sie sich doch so einiges auf ihre ausgesprochene Wendigkeit zugute. Sie hatte es zum Beispiel zur Meisterschaft in der besonderen Fähigkeit gebracht, auf einmaliges Rufen so plötzlich und wie aus dem Boden gewachsen von dem Rufenden zu stehen, dass dieser sich fragen mochte, ob Kleopatra nicht in Wirklichkeit Flügel unter ihrem weißen Fell verborgen hielt. Heute jedoch wäre jede Schnecke schneller gewesen als sie. Und dabei war es doch nicht einmal besonders gemütlich, da wo sie lag. Es fühlte sich so nass und kalt unter ihrem Bauch an. Nie, niemals hätte sie sich freiwillig einen solchen Platz ausgesucht, um ein Nickerchen zu machen.
Kleopatra versuchte wiederum aufzustehen, aber die Beine knickten ihr weg. Noch dazu empfand sie einen stechenden Schmerz beim Atmen in der Brust und das eine Ohr, das herunterhängende, tat weh. Sie lies sich wieder zu Boden sinken und schloss die Augen. Sicher war es vernünftiger, erst noch ein wenig auszuruhen und Kräfte zu sammeln.
Kleooopatraaa …!
Da riefen sie schon wieder, die Menschen. Aber mittlerweile hatte Kleopatra eingesehen, dass es wenig Sinn machte, immer wieder aufs Neue diese unsäglichen Strapazen auf sich zu nehmen. Sie blieb liegen.
Was war nur geschehen? So nach und nach kam ihr die Erinnerung zurück. Ja, richtig. Ein großer Hund hatte sie vorhin am Fell gepackt und wie wild geschüttelt. Er war einfach hinterrücks, wie aus dem Nichts, aufgetaucht. Kleopatra hatte nicht einmal Zeit gehabt wegzulaufen. Dabei machte sie doch sonst um jeden Hund einen so großen Bogen und ließ es wirklich nicht auf ein Zusammentreffen ankommen. Sobald ein Bellen ertönte oder in der Ferne die Umrisse eines Hundes sichtbar wurden, rannte sie, so schnell sie ihre Beine trugen.
Hunde waren so seltsame Geschöpfe. Unberechenbar und heimtückisch. Eben noch taten sie so, als ob sie sich vor lauter Begeisterung über einen gar nicht einkriegten, hüpften wie aufgezogen um einen herum, so dass man davon beinahe Augenflimmern kriegte und dann, hast du nicht gesehen, schnappten sie zu und man hatte als Katze meistens das Nachsehen. Noch dazu verursachten sie unerträglich laute Geräusche, die einem die Ohren marterten. Es machte auch nur wenig Unterschied, ob diese bellenden Kreaturen riesengroß oder von nahezu lächerlicher Winzigkeit waren. Kleopatra hasste sie allesamt.
Eben jetzt fühlte sie es genau am ganzen Körper. Dieser niederträchtige Köter hatte ihr übel zugesetzt. Kleopatras Blick fiel auf ihre normalerweise schneeweißen Pfötchen, und der Anblick entsetzte sie über alle Maßen. Sie sahen schmutzig aus, braunrot verfärbt, blutig. Kleopatra bemühte sich, sie mit ihrer kleinen Zunge zu säubern, aber jede noch so kleine Bewegung bedeutete eine so große Mühsal. Es hatte keinen Sinn.
Kleooo …!
Kleo. Den Rest verschluckte der fauchende Herbstwind. Kleopatra besann sich, dass vor der Hundeattacke irgendetwas geschehen war, das mit ihrem Namen zu tun gehabt hatte. Ja, richtig. Da waren zwei fremde Katzen aufgetaucht, die sie nie zuvor gesehen hatte.
Es lag ansonsten gar nicht in ihrer Art, mit fremden Katzen so schnell Bekanntschaft zu schließen. Nein, das schickte sich einfach nicht. Aber die beiden waren so anders gewesen als alle Katzen, die sie bis dahin kennengelernt und denen sie wie selbstverständlich keinerlei besondere Beachtung geschenkt hatte.
Bei der Begegnung mit jenen beiden Artgenossen hatte Kleopatra mit Erstaunen festgestellt, dass sie in der Lage war, mit ihnen zu sprechen. So etwas taten sonst nur die Menschen, und sie machten dabei meist unglaublich viel Lärm. Es bedeutete Kleopatra nicht viel, wenn sie miteinander oder zu ihr sprachen. Sie hatte gelernt, auf ihren Namen zu achten, weil das im Zusammenleben mit den Menschen von Nutzen war. Von all dem anderen Palaver verstand sie kaum etwas. Mit ihren beiden neuen Bekanntschaften hatte sie dagegen eine viel angenehmere und vor allem verständlichere gemeinsame Sprache gefunden. Es schien ihr alles so vertraut und es ging ganz mühelos.
Filo und Sofia, so hatten sich die beiden Katzen ihr vorgestellt. Kleopatra war es, wie gesagt, nicht neu gewesen, dass Katzen Namen besaßen, doch bis dahin hatte sie angenommen, dass diese Namen nur von Menschen erdacht und benutzt wurden, um über Katzen zu herrschen.
Menschen waren erfinderisch im Ausdenken von Taktiken, die ihre vermeintliche Vorherrschaft sicherten. Natürlich, es bedeutete meist etwas Schönes, wenn sie einen beim Namen riefen: Futter! Und dann und wann machten sie einen auch auf eine geöffnete Tür aufmerksam, die vorher verschlossen gewesen war und die nun kein Hindernis auf dem Weg in die zeitweilige Freiheit mehr darstellte.
Aber die Menschen allein bestimmten, welchen Namen sie einen verpassten und wann und für welchen Zweck sie ihn benutzten. Als Katze hatte man darauf überhaupt keinen Einfluss. Leider schrien sie einem den eigenen Namen auch manchmal rücksichtslos in die Ohren, als wollten sie einem damit den Schädel durchbohren. Einfach so, man begriff nie, was sie damit beabsichtigten. Und eben weil den eigenen Namen ein so großes Rätsel umgab, war es auch nicht üblich, dass sich Katzen untereinander beim Namen kannten. Was hätte das auch für einen Sinn haben sollen?
Nunmehr, nach dem Kennenlernen der beiden namhaften Katzen Filo und Sofia, betrachtete Kleopatra ihren Namen mit anderen Augen. Auch wenn Menschen ihn ihr erteilt hatten, war er ihr inzwischen zu etwas Eigenem geworden. Der Name gehörte zu ihr wie …, ja wie zum Beispiel das winzige schwarze Fleckchen inmitten des schneeweißen Fells direkt vorn auf ihrer rechten Pfote. Man sah es nicht auf den ersten Blick, aber es war Kleopatras besonderes Markenzeichen. Und ihr Name war nun ebenso fest mit ihr verbunden wie dieser kleine schwarze Tupfen.
Filo, der Kater mit dem silbergrauen Fell, hatte ihr indes einen neuen Namen geschenkt: Kleo. Der Name hatte ihr gefallen, war in ihre beiden kleinen Ohren wie ein wohliges Schnurren hineingeglitten. Und aus eben diesem Grunde fühlte sie sich dann auch zu diesem Kater besonders hingezogen. Sofia, die kleine hellrote Katze, Filos Gefährtin, mochte sie ebenfalls gern. Aber Filo noch mehr.
Die beiden Fremden hatten Kleopatra angestiftet, sich gemeinsam genüsslich über einen schmackhaften Braten herzumachen, der da in der Küche ihrer Menschen auf einem Herd vor sich hin geköchelt hatte. Darüber waren ihre Menschen natürlich schrecklich erbost gewesen und hatten ihre beiden Begleiter Filo und Sofia aus dem Haus geworfen. Und sie, Kleo, war ihnen absolut freiwillig gefolgt. Die Abenteuerlust hatte sie ganz plötzlich übermannt und die Welt da draußen vor der Tür hatte ihr mit ihren bunten, schillernden Farben die Augen geöffnet.
Aber dann war da dieser furchtbare Hund aufgetaucht und hatte sie so übel zugerichtet. Und seither waren auch die beiden fremden Katzen verschwunden. Kleopatra hatte keine Ahnung, wohin. Als sie wie aus einem langen, tiefen Schlaf erwacht war und sich erstaunt umgeschaut hatte, waren sie weg. Als hätte es sie niemals gegeben. Aber so war es eben in einer Welt, die für einen als Katze ein Ort voller unerklärlicher Geheimnisse war.
Kleopatra stellte fest, dass es ihr gar nicht gut tat, soviel nachzudenken. Ihr Kopf tat weh, sie fühlte sich schwach und sie brauchte Ruhe, viel Ruhe. Wenn doch bloß der Wind nicht gar so unangenehm und nasskalt durchs Fell peitschte.
Nein, dieser Platz hier war wirklich nicht zu vergleichen mit den Orten, an denen sie sich sonst immer für eine Rast oder ein Nickerchen niedergelegt hatte. In ihr kam flüchtig eine wehmütige Erinnerung auf an all die vielen unterschiedlichen Plätzchen, die ihr jeweils zur Wahl gestanden hatten: kühle Fliesen, wenn die flimmernde Hitze im Haus kaum auszuhalten gewesen war oder aber weiche, kuschelige Decken und Teppiche, wenn der winterkalte Wind ihr den Aufenthalt im Freien hatte unbehaglich werden lassen.
Die Vorstellung eines angenehmeren Ruheplatzes war der letzte, notwendige Impuls für Kleopatra, sich endgültig auf den Weg nach Hause zu machen. Sie konnte sich jetzt gar nicht mehr erklären, warum sie überhaupt so unüberlegt und im Überschwang der Gefühle den beiden fremden Katzen gefolgt war, warum sie ihr behagliches Zuhause im Stich gelassen und sich stattdessen dieser schrecklichen Gefahr ausgesetzt hatte.
Kleopatra nahm all ihre Kraft zusammen und konzentrierte sich zuerst auf das linke Vorderbein. Tatsächlich, es bewegte sich. Dann noch das rechte Bein. Ah … ja … Nun war sie glücklicherweise schon fast zur Hälfte oben. Aber die Hinterbeine, die wollten einfach nicht folgen, egal, wie sich Kleopatra auch mühte.
Miez, miez, miez, …
Kleopatra erschrak. Nah vor ihr hatte sich ein kleines Menschenkind hingehockt und streckte auffordernd die Hand nach ihr aus. Kleopatra konnte dem Kind direkt in die hellblauen Augen schauen.
Jetzt tauchten hinter dem kleinen Menschenkind ein paar dunkelbraune Stiefel auf, die zu einem größeren Menschen gehörten und Kleopatra vernahm eine weitere menschliche Stimme, die zwar nicht gerade unfreundlich, aber doch sehr fremd in ihren Ohren klang. Kleopatra konnte nicht so recht einordnen, ob diese Person ihr gegenüber eher gütig oder abweisend gestimmt war.
Es war prinzipiell nützlich, so etwas recht schnell zu durchschauen, um nötigenfalls schnellstmöglich die Flucht ergreifen zu können. Bei Menschen konnte man nie wissen. Aber momentan war Kleopatra außerstande, sich von der Stelle zu rühren.
Tatsächlich steckte in diesen dunkelbraunen Stiefeln eine ungemein elegante und vornehme Dame, die sehr darauf bedacht war, stets sehr nüchtern und unerschrocken aufzutreten. Und angesichts einer Katze, wie Kleopatra eine war, schien sie größere Gefühlsäußerungen schon gar nicht für angebracht zu halten.......